"Wir müssen damit rechnen, dass der Mensch eigennützig ist"

Der Kohleausstieg geht zu langsam, meint der Klimapolitik-Experte Professor Felix Ekardt. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Katharina Landgraf spürt im Bornaer Kohlerevier auch die Schmerzen dieses Wandels. Wie kann er trotzdem gelingen? Indem man den Menschen nimmt, wie er ist. 
Text: Andreas Roth // Fotos: Uwe Winkler

Frau Landgraf, Herr Prof. Ekardt, wir schauen hier auf den Cospudener See, der sich von einer Braunkohlegrube in einen Badesee verwandelt hat – man könnte den Eindruck gewinnen, dass Klimaschutz ein Strandspaziergang ist.
Landgraf:
Als Bauernkind sind diese Wunden, die die Kohlebagger geschlagen haben, alles Narben für mich. Da empfinde ich immer noch große Trauer. Ja, mit dem See ist nach der Kohle jetzt das Beste daraus für die Menschen entstanden. Allerdings kann man die neuen Arbeitsplätze im Bereich Freizeit und Touristik nicht mit denen vorher in der Kohle und Chemie vergleichen.
Ekardt: Die fossilen Brennstoffe, die viel Wohlstand gebracht haben, sind ein massives Problem für das Klima und die Artenvielfalt unserer Erde. Eine Studie für das Bundeswirtschaftsministerium hat am Beispiel der Braunkohle-Region in der Lausitz vorgerechnet: Man kann sogar noch mehr Arbeitsplätze schaffen als mit der Kohle, wenn man eine Erneuerbare-Energien-Region aus ihr macht.

Jetzt gibt es den beschlossenen Kohleausstieg bis 2038 …
Ekardt:
… der viel zu spät kommt, gemessen daran, was für die Einhaltung des Pariser Klima-Abkommens nötig wäre.
Landgraf: Die Stilllegung des Kraftwerks Lippendorf hier bei uns soll 2035 passieren. Technologisch braucht es diese längeren Vorlaufzeiten. Und man braucht für einige tausend Menschen eine gut bezahlte, anspruchsvolle neue Arbeit.
Ekardt: Erneuerbare Energien und mittelständische Unternehmen haben eher mehr Wertschöpfung als die Kohle. Wir müssen sehr viel früher aufhören, Kohle zu verbrennen, wenn wir nicht den Pariser Klimaschutzvertrag brechen wollen.
Landgraf: Da muss ich widersprechen. Wir brauchen noch eine ganze Weile für die Grundlast der Energieversorgung die Kohle. Gerade das Kraftwerk Lippendorf hier ist eines der Modernsten und gut zu regulieren. Es kann Kohlestrom zur Verfügung stellen, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht. Warum sollen wir das nicht machen?
Ekardt: Der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen hat vorgerechnet, dass ein Kohleausstieg bis 2030 ohne Weiteres technologisch möglich wäre. Es geht darum, ob wir es als Gesellschaft und Politik wollen. Landgraf: Ich stehe zu dem Kohleausstieg 2035 in unserer Region. Das ist für manche Menschen schon schmerzhaft genug.

Spüren Sie Wut oder Ängste bei Ihren Wählern, Frau Landgraf?
Landgraf:
Die wirklich Betroffenen in der Kohle, die ich kenne, nehmen es ziemlich gelassen und sind zuversichtlich, dass sie als gut Qualifizierte etwas in anderen Berufen finden. Aber die Älteren verstehen das nicht. Die haben schon einmal nach 1990 erlebt, dass alles abgebaut und heruntergefahren wurde. Dies noch einmal zu erleben, das ist für sie ein Jammer. 

Die CDU-Politikerin Katharina Landgraf (66) vertritt den Wahlkreis Leipzig-Land im Bundestag. Die vierfache Mutter, Ingenieurin und evangelische Christin aus Großstorkwitz bei Borna ging 1990 in die Politik und arbeitet unter anderem im Landwirtschaftsausschuss des Parlaments mit. 

Sie haben ja selbst einmal in der Kohle gearbeitet als Ingenieurin für Umweltschutz – können Sie diese Gefühle verstehen?
Landgraf:
Ich verstehe den Stolz der Bergleute, sie haben eine lange Geschichte und bergmännische Traditionen. Für mich als Bauernkind dagegen war der Kohleabbau immer schmerzhaft, sehr schmerzhaft. Vom Hof meiner Familie sind auch sechs Hektar weggebaggert worden, der Hof der Familie meines Manns ist mit seinem ganzen Heimatort Breunsdorf weg. Die Älteren hier sind nicht gegen Umweltschutz. Sie wollen bloß nicht schon wieder einen solchen absoluten Wandel.
Ekardt: Das Seltsame ist ja: Es kann Menschen geben, die der ganzen Nachhaltigkeitswende sehr skeptisch gegenüberstehen, aber von Natur aus sparsam sind, nicht viel Auto fahren und nicht fliegen – und es gibt Menschen mit prononciert ökologischen Einstellungen, die vegan leben, aber drei Mal im Jahr Fernreisen machen. Wir wissen aus der Verhaltensforschung: Faktenwissen und Werthaltungen beeinflussen unsere Verhaltensmotivation nur begrenzt.

Reichen da moralische Appelle, wenn wir das Klima retten wollen?
Ekardt:
Wie gesagt: nein. Wir müssen damit rechnen, dass der Mensch eigennützig, kurzsichtig und emotional ist. Dass er lieber andere zum Sündenbock macht und bequem seinen Gewohnheiten folgt. Das ist schon in den alttestamentlichen Geschichten der Bibel präsent. Man kann das ein realistisches Menschenbild nennen.
Landgraf: Der Mensch ist wirklich immer noch so, wie er in der Bibel beschrieben wurde. Und auch alles Wissen und die Weisheit der Kultur haben ihn nicht geändert.
Ekardt: Deshalb ist die Demokratie in der Menschheitsgeschichte die absolute Ausnahme. Und es ist eine offene Frage, ob sich nicht am Ende doch die Trumps, Erdogans und Putins durchsetzen mit ihren einfachen Wahrheiten und Sündenböcken. Diese Neigung zur Vereinfachung wohnt auch in so genannten gebildeten Menschen – wir brauchen da gar nicht auf andere zu zeigen. Wenn wir da im gut christlichen Sinne demütig sind, erreichen wir so auch anders denkende Menschen besser, als wenn wir uns über sie erheben. 

Das klingt eher pessimistisch – haben Sie auch Hoffnung?
Ekardt:
Der Mensch ist lernfähig und auch das ist im weitesten Sinne biblisch. Die Bibel setzt ja neben ihr realistisches Menschenbild ein moralisches Gegenbild des Füreinander-Daseins und eine Endzeitvision. Jeder Mensch ist nach Gottes Ebenbild geschaffen.

Wie lassen sich Menschen schon heute dafür gewinnen, ihr Leben für die Rettung der Zukunft so stark zu ändern?
Ekardt:
Wir brauchen eine andere Politik, aber es müssen auch Menschen im alltäglichen Leben mit dem post-fossilen Leben beginnen. Im Moment zeigen Politik, Unternehmen, Wählende und Konsumierende wechselseitig aufeinander. In Ministerien sagen sie: Wir wissen, dass wir etwas tun müssen – aber wenn wir abgewählt werden, können wir gar nichts mehr ändern. Umgekehrt sagen Wählende und Konsumierende: Die Politik hat das Fliegen doch nicht verboten oder verteuert, also machen wir es. Wir leben in diesen Teufelskreisen.
Landgraf: Es ist schwierig, als Politiker Verzicht zu predigen. Viel besser ist es, wenn man kreativ etwas Neues entwickelt. So dass die Menschen Spaß daran haben, weniger zu verbrauchen. Das ist die Kunst. Vor allem Ältere fragen mich: Warum müssen immer wir in Deutschland vorangehen? Einer meiner Enkel dagegen sagt: Ich bin bereit voranzugehen, einer muss es ja machen. Er fängt mit einer kleinen ökologischen Landwirtschaft an. Da habe ich gestaunt. 

Der Jurist, Philosoph und Soziologe Felix Ekardt (48) gründete und leitet die Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig. Als Professor lehrt er an der Universität Rostock und berät als Experte für den Umbau hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft auch Regierungen. 

Bekommen wir noch rechtzeitig die Kurve oder wird die Klimaerhitzung schneller sein als unsere Lernfähigkeit?
Ekardt:
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir das nicht rechtzeitig schaffen werden. Aber wir haben momentan noch die Chance, es zu beeinflussen – und wenn wir das nicht versuchen, wäre das Ergebnis vorgezeichnet.
Landgraf: Ich bin total optimistisch. Ich habe Gottvertrauen. Und dann haben wir mit dem Corona-Virus jetzt Wochen erlebt, in denen sich so viel geändert hat, was ich vorher nie für möglich gehalten hätte. Die Mobilität ist zurückgegangen, wir machen jetzt stattdessen viele Telefonkonferenzen. Ich hoffe auf unsere Ingenieure. Ich hoffe auch auf die Vernunft.
Ekardt: Wenn wir nicht schnell genug sind, werden wir selbst allerdings diejenigen sein, die das verbockt haben – und nicht irgendeine höhere Macht.