Labor der Demokratie

75 Jahre Evangelische Akademie Sachsen

Text: Iris Milde

388 Jahre vor Christus gründete Platon seine Philosophenschule in einem Olivenhain bei Athen. »In den Lauben der Akademie die Wahrheit suchen«, beschrieb später der Dichter Horaz seinen
Aufenthalt in der Gemeinschaft von Gelehrten, die als erste Akademie gilt. Seit der Renaissance werden wissenschaftliche Bildungsinstitutionen oder Forschungsstätten als Akademie bezeichnet. Die Anwendung der Bezeichnung auf Ausbildungseinrichtungen aller Art, z.B. DFB-Akademie oder Brigitte-Academy, verschleiert, worum es bei einer Akademie im ursprünglichen Sinne geht: um einen Hort geistiger Freiheit.

Hort geistiger Freiheit

Die Evangelischen Akademien entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg. »Die Evangelische Kirche hatte in den Jahren 1933 bis 1945 eine wahre Zerreißprobe zu bestehen. Sie hat sich zum Teil vom Glanz des gesellschaftlichen Wandels blenden und einnehmen, gleichschalten lassen und ihn ohne Prüfung angenommen«, sagte Innenminister Thomas de Maizière in seiner Festrede zum 60. Jubiläum der Evangelischen Akademie Meißen. Die Akademien sollten Freiraum zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Versagen bieten, aber auch ein Ort sein, an dem Demokratie eingeübt werden konnte. Die erste Evangelische Akademie wurde 1945 in Bad Boll bei Stuttgart gegründet. Das DDR-Regime erlaubte zwar die Einrichtung protestantischer Akademien, aber nur in kircheneigenen Gebäuden. In Ermangelung geeigneter Räume stellten der Leisniger Superintendent Georg Muntschick und seine Frau Magdalena kurzerhand ihr Privathaus am Jüdenberg 17 in Meißen zur Verfügung. Am Reformationstag des Jahres 1949 wurde Muntschick als Domprediger und Akademiedirektor berufen. Im Biedermeierambiente seines Hauses sorgte das Ehepaar für das geistige Wohl seiner Gäste, darüber hinaus waren sie talentierte Moderatoren: »Man muss es miterleben, wie sie mit Takt und Geschick jede Diskussion und Debatte so zu lenken wissen, dass keine Missklänge aufkommen«, notierte die Teilnehmerin Eva Henze. Man traf sich ausschließlich zu mehrtägigen Tagungen in
Meißen, Abendveranstaltungen und Studientage fanden ab Mitte der 1990er Jahre Eingang in das Akademieprogramm.

Die Evangelische Akademie Meißen am Jüdenberg 17
Foto: Archiv Ev. Akademie Meißen

Tagung im Hause Muntschick
Foto: Archiv EAM

Ehemaliges Augustinerkloster St. Afra auf der Meißner Burg
Foto: Timm Ziegenthaler, Dresden

Ein weiterer prägender Direktor war Dieter Ackermann (1983–85). Er galt als Modernisierer und bezog die Teilnehmenden in die Themenfindung für Tagungen ein. Ende der 80er Jahre wuchs das Interesse der Menschen an kirchlichen Angeboten, so stiegen auch die Teilnehmerzahlen in der Akademie merklich.
»Zu den Tagungen in der DDR-Zeit kamen Menschen, weil sie wussten: Hier werden sie nicht belogen, hier gibt es keine Ideologie, hier konnten sie offen sprechen«, berichtete der langjährige Kuratoriumsvorsitzende Dr. Klaus Stiebert. Peter Vogel, Direktor von 1998 bis 2006, resümierte sogar, die Akademie gehöre »zu den
Orten, an denen die politische Wende 1989/90 vorbereitet wurde«.

Freiheit 16

1992 zog die Evangelische Akademie Meißen in den frisch sanierten Klosterhof St. Afra des 1205 gegründeten Augustiner-Chorherrenstifts. Der damalige Direktor Matthias Flothow erlebte die frühen 1990er Jahre als Zeit »mit Transformationsbemühungen, aber vor allem ungeahnter, spannender Möglichkeiten«. Ein Wink des
Schicksals, dass die neue Adresse nun »Freiheit 16« lautete. Unter dem Eindruck der Balkankrise beschäftigte man sich mit Krieg und Frieden, mit der steigenden Arbeitslosigkeit wurde soziale Ungleichheit relevant und in den frühen 2000ern stand gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft ganz oben auf der Themenliste. Bei der Themenfindung sei das »Sich-selbst-Überprüfen eine dauerhafte Aufgabe«, so Johannes Bilz, Direktor der Akademie von 2007 bis 2018.

Neue Wege

2020 stand ein erneuter Umzug an, da die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens entschieden hatte, kirchliche Bildungseinrichtungen im Haus der Kirche/Dreikönigskirche in Dresden zu versammeln. Die Evangelische Akademie Meißen wurde in Evangelische Akademie Sachsen umbenannt und bietet seitdem Veranstaltungen
in vielen Orten des Freistaats an. »Die Akademie muss dort tätig sein«, so der aktuelle Akademiedirektor Stephan Bickhardt, »wo der Dialog in öffentlichen Angelegenheiten gestört ist, etwa im Verhältnis zwischen Stadt und Land, und muss dort mit neuen Formaten unterwegs sein.« Außerdem stehe Akademie für Veränderung. So prüfen die Landeskirche und das Bistum Dresden-Meißen derzeit die Gründung einer gemeinsamen Akademie. Das wäre dann die erste ökumenische Akademie in Deutschland.

»Die Akademie muss dort tätig sein, wo der Dialog in öffentlichen Angelegenheiten gestört ist, etwa im Verhältnis zwischen Stadt und Land, und muss dort mit neuen Formaten unterwegs sein.«