Freiwilligendienst im Kloster

Vor allem junge Menschen legen nach der Schule ein Freiwilligenjahr ein. Es gibt Freiwilligendienste im sozialen und politischen Bereich, im Umweltschutz, im Ausland, in der
Kultur und in der Denkmalpflege. Sabine Schluchtmann hat ein Freiwilliges Ordensjahr absolviert
und zwölf Monate mit den Zisterzienserinnen im Kloster Marienthal gelebt und gearbeitet.

Text: Iris Milde // Fotos: Steffen Giersch

»Der Wunsch ist schon ewig da, ins Kloster zu gehen«, sagt Sabine Schluchtmann gleich zu Beginn. Sie steht im Klosterladen der Abtei Marienthal und wartet auf Kundschaft. »Als ich meinen Töchtern gesagt habe, dass ich ins Kloster gehe, da haben die geantwortet: ›Mutti, mach das, du wolltest das schon immer.‹ Das war mir gar nicht so bewusst.« Sabine Schluchtmann ist in
einer atheistischen Familie in Dresden groß geworden. Sie habe seit jeher eine Sehnsucht nach Gott verspürt, aber ihre Eltern erlaubten ihr den Kirchenbesuch nicht: »Die haben gesagt: ›Die Kirche verdirbt unsere Jugend mit ihren interessanten Angeboten.‹«, erzählt sie verschmitzt. Als Erwachsene engagiert sie sich in der evangelischen Auferstehungsgemeinde in Dresden-Plauen, arbeitet im dortigen Kindergarten, weil sie nach einem Ausreiseantrag ihren Beruf als Grundschullehrerin in der DDR nicht mehr ausüben darf. »Ich war sehr glücklich als Kindergärtnerin, aber ich habe auch gemerkt: Mir fehlt noch etwas. Ich bin noch auf der Suche.« 1989 verlässt Sabine Schluchtmann mit ihrem Mann und den zwei Töchtern die DDR Richtung Hamburg, kommt aber kurz darauf nach Dresden zurück. Sie unternimmt eine Weltumseglung. Nach der Scheidung von ihrem Mann reist sie viel, ist Stammgast im Theater, engagiert sich in der Kirchgemeinde. »Ich habe mich nicht leer gefühlt, aber auch nicht ausgefüllt.«

Ältestes Zisterzienserinnenkloster

2021 kommt Sabine Schluchtmann das erste Mal nach Marienthal. Das Kloster liegt nahe der Gemeinde Ostritz direkt am Ufer der Neiße, die die Grenze zwischen Deutschland und Polen markiert. Kurz vor Kriegsende weigerten sich die Nonnen, die Abtei zu verlassen und
verhinderten damit die Sprengung des Klosters durch die SS. So ist Marienthal das älteste Zisterzienserinnenkloster in Deutschland, das seit seiner Gründung im Jahr 1234 ununterbrochen
besteht. Heute beherbergt das Barockensemble ein Internationales Begegnungszentrum und
Gästezimmer für Touristen und Pilger. 

 

 »Ich habe mich nicht leer gefühlt, aber auch nicht ausgefüllt.« 


Eine Kundin kommt in den Klosterladen. Sabine Schluchtmann lässt sie am »Monastic tea – made in Silence« und an handgesiedeten Seifen aus dem Schwesternkloster Helfta riechen. Auch Klosterbier, Kräuterkissen oder gesegneten Klosterbalsam können Besucher als Andenken mit
nach Hause nehmen. »Das ist etwas, das ich noch nicht so gut verstehe: Was das für eine große Bedeutung hat, wenn Dinge gesegnet sind«, bemerkt die Protestantin beiläufig. Nach ihrem ersten Aufenthalt kommt Sabine Schluchtmann immer wieder nach Marienthal. Vom gemeinsamen Gebet ist sie besonders angetan. »Vor allem sonntags war es vielen Klostergästen zu zeitig, um fünf Uhr beim Gebet zu sein. Ich habe in den Gebeten meine Erfüllung gefunden.
« In Marienthal hörte sie auch das erste Mal vom Freiwilligen Ordensjahr (FOJ). Das Ordensjahr gibt es seit 2019. Es bietet Menschen jeden Alters die Möglichkeit, für drei bis zwölf Monate in einer Gemeinschaft von Nonnen oder Mönchen mitzuleben. Die Zugehörigkeit zu einer
Religionsgemeinschaft ist keine Voraussetzung.

Das Klausurgebäude ist allein den Schwestern vorbehalten. Dort wohnt Sabine Schluchtmann.

Im Klostermarkt arbeitet Sabine Schluchtmann.

Eigentlich wollte Sabine Schluchtmann nicht im Klosterladen arbeiten, jetzt hat sie viel Freude daran.

Vom Hof ist Hundegebell zu hören, die Tür des Klosterladens springt auf. Herein schaut eine Schwester im Habit mit schwarzem Schleier. Schwester Mechthild ist Priorin im Kloster Marienthal, also die Vertreterin der Äbtissin. Sie betreut die Freiwilligen im Kloster. Gerade führt sie Schäferhündin Kelly Gassi. »Das Ordensjahr ist von der Deutschen Ordensobernkonferenz ins Leben gerufen worden, um diese Schwellenangst vor dem Kloster zu nehmen «, erklärt sie. Die Freiwilligen tauchen ins Klosterleben mit ein. Sie beten und arbeiten nicht nur mit den Ordensfrauen, wie Gäste im Kloster, sondern essen gemeinsam mit den Schwestern und wohnen auch in der Klausur, also dem Bereich, der allein den Nonnen vorbehalten ist. »Das ist auch der Grund, warum nicht alle Ordensgemeinschaften mitmachen«, sagt Schwester Mechthild, »weil es auch eine gewisse Unruhe hineinbringt. Besonders in eine kontemplative Gemeinschaft.« Denn die Zisterzienserinnen von Marienthal sind ein Schweigeorden. Statt enge Freundschaften
untereinander soll eine enge Beziehung zu Gott aufgebaut werden. »Die muss stimmen«, betont die Priorin. »Dann trägt das über die ganzen Hürden, weil das Leben im Kloster wirklich nicht einfach ist.« Es gibt viele Gründe, die Stille und Zurückgezogenheit eines Klosters vorübergehend als Gast aufzusuchen: Erschöpfung, enttäuschte Liebe, fehlende Orientierung, die Sehnsucht nach Gemeinschaft. »Aber mit dieser Stille muss man auch umgehen können. Da kommt ja auch viel hoch in den Menschen.« Deshalb sei das FOJ nicht geeignet für Menschen mit psychischen Problemen.
 

»Die Beziehung zu Gott muss stimmen. Das trägt über alle Hürden hinweg.« 


»Anfangs waren wir alle etwas skeptisch, ob das eine gute Idee ist mit dem Ordensjahr, aber das bringt frischen Wind rein und wir bekommen auch Unterstützung.« Kost und Logi sind während des Freiwilligen Ordensjahres gedeckt durch die Arbeit, die die Freiwilligen gemeinsam
mit den Nonnen verrichten. Zunächst hat Sabine Schluchtmann die Gästezimmer im Kloster in Ordnung gehalten. Dann half sie, eine demenzkranke Schwester zu pflegen. »Ich hatte so eine Angst davor: Jedes Mal habe ich vor der Tür gebetet: Gott hilf mir ! Ich habe die Kraft
bekommen und ganz viel Liebe von der Schwester Alma.« Zum klösterlichen Gehorsam gehört es, jede neue Aufgabe in Demut anzunehmen und an ihr zu wachsen. »Ich wollte nicht in den Klosterladen. Dann hat Mutter Elisabeth gesagt, ich soll es probieren und es hat mir Spaß gemacht !« Neun Ordensfrauen leben in Marienthal. Sie seien eine »zusammengewürfelte« Gemeinschaft, in der es auch Konflikte gebe, sagt Sabine Schluchtmann: »Ich bin nicht wegen
der Gemeinschaft ins Kloster gegangen. Und ich bin auch nicht vor der Welt geflohen. Mich hat es einfach ins Kloster gezogen, weil ich hier etwas finde, was ich draußen eben nicht bekommen habe. Die Gebete, den tiefen Glauben.« 

Von der Managerin zur Nonne

Das ist auch der Grund, warum sich heute eher Menschen im höheren Alter für ein Leben im Kloster entscheiden. Sabine Schluchtmann ist mittlerweile im Rentenalter und Schwester Mechthild, deren süddeutscher Akzent nicht zu überhören ist, hat vor ihrem Klostereintritt im mittleren Management von BMW gearbeitet. »Ich habe ein Leben auf der Überholspur geführt. Ich hatte alles, aber die innere Leere kann man mit Geld nicht füllen.« Doch der Verzicht
auf den 7er-BMW ist ihr dann doch schwerer gefallen als erwartet: »Ich musste im Kloster Helfta in Sachsen-Anhalt im Winter eine Schwester zum Arzt bringen. Das Auto war eine klapprige Franzosenkiste, total zugefroren !«, lacht sie. »Da sind mir als Kandidatin wirklich die Tränen in die Augen gestiegen und ich habe gedacht: Oh je, was habe ich mir da angetan ?!« Schwester Mechthild ist eine fröhliche Nonne, sie erzählt gern und lacht viel. »Aber ich bin auch gern wieder still, um die Kräfte zu konzentrieren«, winkt sie ab. Hündin Kelly zieht mit aller Kraft an der Leine. »Die Nonne mit dem Hund«, wie sie in Marienthal genannt wird, setzt mit festen Schritten ihren Spaziergang fort.

»Schweigen habe ich immer geliebt«, sagt Sabine Schluchtmann und sperrt den Klosterladen zu. Eilig geht sie über den Hof vorbei an blühenden Fliederbüschen auf die Kirche zu. In der Hand hält sie eine Plastiktasche. »Ich habe keine schöne Damenhandtasche mehr !«, sagt sie entschuldigend. Sie trägt einen schwarzen Rock und einen schwarzen Pulli, die langen Haare sind zu einem Pferdeschwanz gebunden. Früher habe sie sich gern farbenfroh gekleidet. »Ich hatte rote Schuhe ! Aber im Kloster käme ich mir damit komisch vor.«

Sabine Schluchtmann mit Schwester Mechthild und Hund Kelly

Während des Interviews im Klosterladen

Schwester Mechthild geht mit Kelly Gassi.

Sabine Schluchtmann schaut auf die Kirchturmuhr. Das Mittagsgebet fängt gleich an. Jeden Tag steht sie um 4:35 Uhr auf, um fünf Uhr beginnt das erste von sieben gemeinsamen Gebeten am Tag. Erst nach der Messe gibt es Frühstück. »Dann bin ich schon das erste Mal müde«, scherzt sie. Sie öffnet die schwere Kirchentür, bekreuzigt sich, verschwindet und kommt nach zehn Minuten in einen braunen Chormantel gekleidet zurück. Über eine schmale Stiege geht es auf die Schwesternempore. Chorgestühl steht um eine Marienfigur. Sabine Schluchtmann setzt sich zielstrebig auf ihren Platz, knipst das Leselicht an und ordnet ihre Bücher. Nach und nach kommen aus allen Winkeln Nonnen herein. Ein hoher Sprechgesang setzt ein. Wie einer Choreographie folgend drehen sich die Betenden nach Osten und wieder zueinander, verbeugen sich, setzen sich, stehen wieder auf, singen zusammen oder im Wechsel. Obwohl jeden Tag ein anderer Psalm gebetet wird, scheinen alle den Ablauf und die Melodie in- und auswendig zu kennen. Sabine Schluchtmann wirkt versunken und gleichzeitig hochkonzentriert. 

Von Kopfmenschen und Herzensmenschen

Außer ihr trägt noch ein junges Mädchen einen Chormantel. Die Zwanzigjährige hat genauso wie
Sabine Schluchtmann das Freiwillige Ordensjahr in Marienthal absolviert und beide haben sich entschieden, im Kloster zu bleiben. Sabine Schluchtmann hat ihre Wohnung aufgelöst und ihr Hab und Gut verschenkt. »Sogar meinen Computer, weil ich dachte, dass ich den nicht mit ins Kloster nehmen darf, aber jetzt habe ich ein Tablet.« Die selbstbewusste Rentnerin lebt nun seit anderthalb Jahren in der Abtei Marienthal. Seit Ablauf ihres Freiwilligenjahres im November
ist sie Anwärterin zur Choroblatin. Das sind Laienschwestern, die im Kloster leben. Dafür ist die Protestantin zum katholischen Glauben übergetreten. »Ich fühle mich total wohl, weil ich das hier mit Herz und Sinnen mache. Im Evangelischen wird so viel mit dem Kopf gemacht. Aber man kann mit dem Kopf viel weniger begreifen als mit dem Herz.« Mit der Beichte tue sie sich noch schwer und manches, wie die Marienverehrung, begreife sie erst mit der Zeit. »Aber ich verstehe
mich schon ein bisschen als Botschafterin zwischen Protestanten und Katholiken.« Und in einer Sache kann sie ihre evangelische Prägung nicht ablegen: »Wenn es wieder schwierig wird, Priester für unsere tägliche Messe zu finden, dann sage ich mir immer: Von mir aus könnte es auch eine Priesterin sein. So fromm bin ich dann auch wieder nicht !«

»Ich habe gedacht: Die lassen mich nicht ins Kloster. Ich bin evangelisch, geschieden, hab‘ zwei Kinder und bin uralt.«