Könnte es sein, dass die andere Seite recht hat?
Für Franziska Schubert ist der Zweifel wichtig in der Politik. Gerade weil die Grünen-Fraktionschefin glaubt. Sie will nicht anklagen, belehren oder ein schlechtes Gewissen machen – eher zuhören und eigene Fehler zugeben. Nur dann bewegen sich Menschen, davon ist sie überzeugt.
Text: Andreas Roth
Mit einer Pappe steht Franziska Schubert Anfang Mai in Zittau inmitten von Kritikern der Corona-Schutzmaßnahmen. »Gesprächsbereit«, hat die Grünen-Fraktionschefin im Landtag darauf geschrieben, »Grundsätzlich. Zuhörend. Interessiert.« Schlagworte, die nicht schlagen wollen, sondern einladen.
»Wenn Menschen immer wieder die Erfahrung von Abwertung machen, macht das was mit ihnen«, das hat Franziska Schubert (39) erlebt. »Und wenn sie nach einem Gespräch sagen: Es war ganz anders als gedacht – dann macht es auch was mit ihnen.« Die Grünen-Politikerin will den Fragen und dem Zweifel Raum lassen. Gerade weil sie glaubt.
In ihrer Bibel ist der Zweifel ein oft wiederkehrendes Motiv. Und aus ihr schöpft sie die Fähigkeit zu fragen: Könnte es sein, dass die andere Seite recht hat? Dass ich auch etwas lernen kann aus einer anderen Perspektive? Dass es vielleicht doch anders ist? »Wenn es keinen Zweifel gibt«, sagt Franziska Schubert, »kann es auch keine starke innere Haltung geben.«
In der politischen Praxis werden Zweifel indes oft nicht belohnt. Das erfuhr die Frau aus Neugersdorf hoch oben in der Oberlausitz, die erst 2013 bei den Grünen eintrat und schon ein Jahr später in den Landtag nachrückte, als sie im Frühling in einem Zeitungsessay für mehr Selbstkritik der Politik beim Umgang mit der Corona-Pandemie plädierte. »Natürlich haben wir da Fehler gemacht«, sagt sie. »Aber daraus kann man doch lernen.« Sie kann das so frei sagen, weil ihr Glaube mit der Fehlbarkeit des Menschen rechnet – und mit Vergebung. In der Staatsregierung hörte das nicht jeder gern.
Aber auch in ihrer eigenen grünen Partei sind Zweifel nicht immer angesehen. So wenig wie Gespräche mit Andersdenkenden auf dem Zittauer Straßenpflaster. Wenn man dort »Volksverräter« hinter ihr her brüllt oder ihr Hass-Mails schickt, dann ist auch für Franziska Schubert Schluss mit Dialog. »Aber meine Erfahrung ist: Wenn ich Menschen nur anklage, ihnen ein schlechtes Gewissen mache oder von oben herab anspreche – dann sind sie weniger bereit, etwas zu ändern. Ich möchte lieber zuhören und verstehen und so oft ins Gespräch gehen, bis sich etwas bewegt.« Sie rechnet auch bei sich selbst mit Veränderungen. Nur so wird es für sie ein echter Dialog.
Dass sich Dinge ändern können, wenn man sie anspricht, hatte die Fleischertochter Franziska Schubert das erste Mal in der siebenten Klasse erfahren. Es war in ihrer katholischen Kirchgemeinde im Oberlausitzer Neugersdorf. Der Pfarrer konservativ, die Ministranten alle krank – können den Dienst im Gottesdienst nicht auch wir Mädchen übernehmen, fragte Franziska Schubert. Der Pfarrer lehnte ab. Als sie ein halbes Jahr später einen Vertretungspfarrer fragte, entschied der anders. Für Franziska Schubert war es das Gefühl, dass etwas in ihr in ein Gleichgewicht gekommen ist.
Was es bedeutet, wenn dieses Gleichgewicht fehlt, konnte sie mit 18 Jahren mit eigenen Augen sehen. Es hat sie erschüttert und wirkt nach bis heute. Es war in der offenliegenden Wunde eines Tagebaus in der Lausitz. »Da habe ich gespürt, was der Mensch der Erde antut.«
An einem anderen Tag ihres Freiwilligen Ökologischen Jahres nach der Schule stand sie im Wald inmitten tausender wandernder Kröten. »Wie doch das Leben so im Überfluss ist, wie das Göttliche für uns sorgt«, dachte sie und sprach mit einem Pfarrer darüber. »Es sorgt sich jemand um uns, wir können eigentlich ganz ruhig sein – anstatt die Welt auszupressen und dieses Gleichgewicht permanent zu stören.«
Dieses Gefühl der Verwurzelung sucht sie an den Sonntagen, die ihr heilig sind, bei den Schafen hinter ihrem Haus in Neugersdorf, beim Heumachen und Rosenzüchten. Die katholische Kirche ihrer Kindheit gegenüber wurde letztes Jahr geschlossen.
All das trägt sie auch mit nach Dresden in die Flure des Landtages. Gerade kommt sie aus einem Gespräch mit den Spitzen der drei Koalitionsfraktionen, die Zeitungen schreiben nach zwei nächtlichen Abschiebungen von georgischen Familien Anfang Juli über dicke Luft und Krach. Es hat wieder länger gedauert. Es geht um Gewissensfragen.
Für Franziska Schubert lautet der stärkste Vers der Bibel: »Fürchtet euch nicht!« »Der trägt mich auch durch unangenehme Gespräche.« Oft ist sie die einzige Frau in diesen Spitzenrunden. Nicht selten reden Männer mehr und lauter. »Meine Erfahrung ist, dass da das Ruhigbleiben hilft. Nicht mit der Faust auf den Tisch hauen und kein Säbelrasseln. Du brauchst keine Angst haben, habe Vertrauen in Vertrauen.« Immer gut vorbereitet Sein hilft natürlich auch.
Franziska Schubert hält nicht viel von politischen Kämpfen. Sie versucht bereits die Sprache des Kampfes abzurüsten. Denn mit geschlossenem Visier spricht es sich schlecht. Als sie 2019 bei der Görlitzer Oberbürgermeisterwahl kandidierte, habe sie mit ihrem Bürgerbündnis zuerst die Sprache besprochen. Keine Kampfrhetorik, das Wort »muss« wurde gestrichen. Sie will ein Angebot machen, einladen, keine Dogmen verkünden.
Sie hat die Wahl trotz beachtlicher 28 Prozent der Stimmen nicht gewonnen. Sie zog für den nur knapp vor ihr liegenden CDU-Kandidaten zurück, um einen Sieg der AfD zu verhindern. »Es kostet mehr Kraft, Schritte aufeinander zuzugehen, als auf seinem Standpunkt zu beharren«, schrieb sie danach. Görlitz solle eine weltoffene Europastadt bleiben. So ist es gekommen.
Es wirkt nicht, als hätte sie verloren.