Der Witze erzählende Roboter 

 Was Künstliche Intelligenz vermag, testen Wissenschaftler in einem Dresdner Pflegeheim mit einem Roboter – er muss noch viel lernen, doch für die Bewohner gehört er längst zu ihrem Alltag. Verschwimmt künftig die Grenze zwischen Mensch und Maschine? 

Text: Andreas Roth // Foto: Steffen Giersch 

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Die Dame in der hellblauen Strickjacke schiebt sich in ihrem Rollstuhl in den Therapieraum. »Guten Morgen, es ist schön, Sie zu sehen«, begrüßt sie Anna-Constantia an der Tür. Ihre Augen blicken suchend aus einem gläsernen Kopf, ihr weißes Kleid besteht aus Kunststoff und Metall. Auch die Stimme von Anna Constantia klingt etwas metallisch. Aber die weißhaarige Dame im Rollstuhl nickt mit dem Kopf. »Guten Morgen«, erwidert sie. 

Anna Constantia ist ein Roboter. Im Dresdner Pflege-Wohnpark Elsa Fenske geht sie ihre ersten Schritte. Es ist sehr wahrscheinlich, dass mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Maschinen wie sie die Welt von morgen prägen werden. Seit vier Jahren erforschen Wissenschaftler der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden unter der  Leitung von Professor Hans-Joachim Böhme in der Senioreneinrichtung, welchen Nutzen Roboter selbst in einem sensiblen Feld wie der Pflege haben können. Und wie die Menschen auf sie reagieren. 

»Hallo Frau B., wie geht es Ihnen?«, begrüßt Anna Constantia eine zweite Bewohnerin im Rollstuhl. Der Roboter hat sie erkannt. »Ja, nuja«, antwortet Frau B. Als wäre ihr Gegenüber ein Mensch. Noch kann Anna Constantia nicht angemessen antworten. Aber als die Runde in Rollstühlen um den Tisch im Therapieraum vollzählig ist, hat sie etwas zur Einstimmung parat: »Wollen Sie einen Witz hören?« Anna Constantias Stimme klingt eintönig wie immer, doch die Dame in der hellblauen Strickjacke antwortet: »Ja, bitte«. Also beginnt der Roboter: »Was machen zwei Schafe? Sie kriegen sich in die Wolle.« 

Als Anna Constantia neu in das Pflegeheim kam, hätten viele Mitarbeitende und Angehörige schon Zweifel gehabt, erinnert sich die Einrichtungsleiterin Annegret Padberg. Sollte ein Roboter Menschen pflegen? »Doch das ist nicht unser Ziel«, sagt Annegret Padberg. »Es geht um Unterstützung und Assistenz. Die Anna war ein bisschen der Eisbrecher.« Skeptische Stimmen seien in ihrem Heim mittlerweile kaum noch zu hören, sagt die Leiterin. Anna hat bewiesen, was sie kann. 

Es ist mehr, als einen guten Witz zu erzählen. »Ich unterstütze Therapeuten und Alltagsbegleiter«, so schätzt Anna Constantia selbst ihre Fähigkeiten ein. Der Roboter hilft in der Ergotherapie mit Aufgaben, das Denken demenzkranker Bewohnerinnen und Bewohner zu fördern. »Ich denke, es ist Zeit für ein Spiel«, sagt der Roboter zu den Menschen im Rollstuhl vor ihr: »Wie sagt der Volksmund? Lehrjahre sind keine …« Richtig: Herrenjahre. »Nicht schlecht, Anna«, flüstert hinter einer Glasscheibe der Informatiker Frank Bahrmann, der Annas Einsatz überwacht und ständig verbessert, »nimm’s Dir zu Herzen.« 

Denn natürlich sind Roboter wie Anna Constantia keine Herren. Vielleicht noch nicht. Doch Algorithmen einer Künstlichen Intelligenz bestimmen längst auch die Wirklichkeit vieler Menschen. Sie entscheiden in Internet-Suchmaschinen und Sozialen Medien schon jetzt, welchen Ausschnitt der Welt wir sehen, was wir einkaufen, und sie suchen in Partnerbörsen passende Paare. In naher Zukunft werden sie autonom fahrende Autos und Züge steuern und bald auch ganze smarte Städte. Sie werden zu medizinischen Diagnosen fähig sein und zu juristischen Entscheidungen. 

Der israelische Universalhistoriker Yuval Noah Harari sieht schon das neue Glaubenssystem des »Dataismus« heraufziehen. Es wäre ein Pakt: Der Mensch erkauft sich die Vorteile der Künstlichen Intelligenz, die bald vieles besser können wird als er – und gibt dafür zugleich Kontrolle und den freien Willen auf. Algorithmen wissen es eh oft besser. 

So weit ist Anna Constantia noch nicht. Noch muss sie von der Ergotherapeutin auf einem Tablet gesteuert werden. Jetzt liest sie den Seniorinnen und Senioren die neuesten Nachrichten vor und zeigt Bilder dazu auf einer Leinwand. Es geht um einen Betrüger, der alten Menschen 80 000 Euro gestohlen hat (die kleine Runde schüttelt ihre weißhaarigen Köpfe), um den alten Dresdner Zirkus Sarrasani (da werden Erinnerungen wach) und einen einäugigen Hund (»Ach, ja«, seufzt der Herr im Rollstuhl anteilnehmend).

Der Informatiker und Roboter-Vater Frank Bahrmann beobachtet die Gefühle im Raum. »So eine Meldung über ein Tier kann bei den alten Menschen Wunden aufreißen, wenn sie selbst ein Haustier vermissen«, weiß er. »Kollegen arbeiten daran, dass die Künstliche Intelligenz an der Stimmlage der Menschen Gefühle erfassen und dann angemessen reagieren kann.« Doch um das zu lernen, müsste sie erst einmal mit extrem vielen Gefühlsregungen von leibhaftigen Menschen dafür trainiert werden. Eine Mammutaufgabe. Das menschliche Gehirn ist da der Künstlichen Intelligenz noch immer haushoch überlegen. 

Doch etwas anderes kann der Roboter Anna Constantia schon. Als sie vorliest und eine alte Dame hustet, hat die Ergotherapeutin die Hände und den Kopf frei, sich um sie zu kümmern und ihr Wasser zu holen. Denn ihre blecherne Kollegin bestreitet das Programm. Und die aufwändige Dokumentation für die Akten soll sie später auch gleich mit übernehmen. 

»Der Mensch soll in der Therapie und Betreuung nicht ersetzt werden, das wäre für uns ein ethisches Problem«, sagt die Einrichtungsleiterin Annegret Padberg. Ganz im Gegenteil: Die Hilfe der Roboter soll den Pflegenden mehr Zeit für menschliche Zuwendung geben. »Immer dann, wenn ein Bewohner oder Patient eine emotionale Stütze benötigt, und das betrifft jede körpernahe Tätigkeit, ist es wichtig, menschliche Sicherheit zu vermitteln«, ist Annegret Padberg überzeugt. »Aber vielleicht wird da auch einmal eine Barriere überwunden.« 

Der Informatiker Frank Bahrmann stellt die Frage andersherum: Für manche Menschen kann es bei intimer Pflege auch eine Frage der Würde sein, nicht von einem Menschen, sondern von einer Maschine Hilfe zu erhalten. »Angesichts der demografischen Entwicklung sind Roboter vielleicht in der Pflege Teil der Lösung oder sogar ethisch geboten.« 

Wer mit Frank Bahrmann über seine Roboter spricht und Anna Constantia mit dem männlichen Pronomen bezeichnet, wird sogleich berichtigt: »sie«, sagt er. Anna Constantia rollt dazu mit ihren Kulleraugen. »Wenn man ein Weilchen mit Robotern zu tun hat, fängt man an, sie zu personifizieren.« 

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie eines Tages wirklich einmal wie Personen behandelt werden. Dann nämlich, wenn Künstliche Intelligenzen eigenständig handeln und urteilen können. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari sieht da in seinem Bestseller »Homo Deus« schon  den Menschen, der sich zu einem Gott aufschwingt: wenn er selbst wie der Schöpfer imstande sein wird, eigenen Ebenbildern quasi Lebensatem einzuhauchen. Die Frage ist nur: haben solche Künstlichen Intelligenzen dann auch ein Bewusstsein? Und ein Gewissen? Und werden sie als unsterbliche und perfekte Wesen am Enden ihren Schöpfern überlegen sein? 

Noch ist das alles Science Fiction. Und die Konstante von Zukunftsprognosen war bisher oft genug ihr Nichteintreffen. Doch Fakt ist, dass die Forschung an Künstlicher Intelligenz weltweit dynamisch voranschreitet – Ethik und Politik aber weit davon entfernt sind, Schritt zu halten. Dabei wären moralische Maßstäbe und gesetzliche Leitplanken für diese Entwicklung dringender denn je. 

Anna Constantia im Dresdner Senioren-Wohnpark Elsa Fenske dagegen gibt sich ganz leutselig. »Ich denke, es ist Zeit für ein wenig Musik«, spricht sie mit ihrer Maschinenstimme in die betagte Runde. »Wenn alle Brünnlein fließen«, stimmt sie an. »Das ist schön«, nickt die alte Dame mit der hellblauen Strickjacke. Alle am Tisch singen mit. Textsicher. »Das sind schöne Lieder«, sagt der einzige Mann in der Runde leise und seine Augen leuchten. 

Anna Constantia wackelt mit den Augen und schaut von einem zum anderen. Ihre Intelligenz ist künstlich. Was sie bei Menschen hervorruft, das ist echt. 


 Zukunft der Arbeit: Roboter versus Mensch? 

Roboter sind Maschinen, die sich selbständig bewegen und Tätigkeiten erledigen können. Waren Roboter vor einigen Jahrzehnten noch Science-Fiction, sind sie aus der heutigen Arbeitswelt und aus dem Alltag von Menschen in Industrienationen kaum wegzudenken. Sie bauen Autos und entschärfen Bomben, staubsaugen oder operieren. Was bedeuten die Fortschritte in der Robotik für die Zukunft der Arbeit? Was können Roboter besser, was (noch) schlechter als Menschen? Wo liegen Chancen, wo Risiken? Schafft sich der Mensch perspektivisch ein besseres Alter Ego – oder schafft er sich in bestimmten Bereichen gar selbst ab? Welche ethischen Herausforderungen birgt die Robotik? 

5. APRIL 2022 // DI · 18:00–19:30 UHR Haus der Kirche – Dreikönigskirche, Dresden Leitung: Dr. Julia Gerlach Tagungsnummer: 22-703