Lebenswichtige Hoffnung weitergeben
Jedes Jahr erhalten etwa 500 Tausend Menschen in Deutschland die Diagnose Krebs. Pfarrerin Konstanze
Eymann erkrankte mit 35 Jahren an Lymphdrüsenkrebs. Nach ihrer Heilung hat sie spirituelle Angebote
speziell für Betroffene von Krebserkrankungen entwickelt.
Text: Iris Milde // Fotos: Steffen Giersch und Konstanze Eymann
Ein kleines Zimmer im Dachgeschoss. Am Fenster stehen ein Sofa und ein Sessel um einen Couchtisch, das ist Pfarrerin Konstanze Eymanns Büro in der Dresdner Hoffnungskirche. Hier empfängt sie Menschen zum Gespräch. Viele von ihnen suchen Konstanze Eymann gezielt auf, weil sie an Krebs erkrankt sind oder waren oder weil sie Angehörige eines Tumorpatienten sind. »Manche wollen sich einfach mal alles von der Seele reden«, sagt Pfarrerin Eymann, »weil man das zu Hause manchmal gar nicht so richtig kann. Aber man muss mal rauslassen können, was man so fühlt.« Und es ist leichter das zu tun, wenn man weiß, dass der Gesprächspartner einen versteht.
Mit 35 Jahren erhielt Konstanze Eymann selbst die Diagnose Krebs. Sie hatte gerade ein Jahr als Pfarrerin in
der Evangelischen Kirchgemeinde Frieden und Hoffnung in Dresden gearbeitet, als das Non-Hodgkin-Lymphom, bösartige Tumore des lymphatischen Systems, bei ihr festgestellt wurde. »Es ist relativ spät erkannt worden, sodass man nicht sagen konnte, ob ich es schaffe. Mich hat das völlig aus den Socken gehauen.«
Viel Zeit, diesen Schock zu verdauen, hatte die junge Frau nicht. Sofort nach der Diagnose begann die Chemotherapie, später dann die Bestrahlung. Gleichzeitig galt es, den Familienalltag mit zwei kleinen Kindern komplett neu zu strukturieren: »So etwas erschüttert das ganze System.« Konstanze Eymann sitzt im Sessel, in den Händen eine Tasse Tee. Sie schaut aus dem Fenster zurück in die Zeit, die auch ihren Glauben erschüttert hat: »Am Anfang meiner Diagnose konnte ich keine Kirche betreten, weil ich so enttäuscht war. Ich war unheimlich wütend auf Gott und auch richtig verletzt. Im Nachhinein habe ich aber gelernt: Ich war so wütend auf Gott, weil mir meine Beziehung zu ihm so viel bedeutet. In allen Beziehungen entwickelt man
ja Gefühle füreinander.«
Konstanze Eymann hatte Glück, sie gilt heute als geheilt. »Aber es bleibt ja immer was zurück, seelisch und körperlich «, sagt sie und holt tief Luft. Denn kurz nach ihrer eigenen Genesung folgte die nächste Hiobsbotschaft. Bei ihrer Mutter wurde Knochenmarkkrebs erkannt – nicht heilbar. Zwei Jahre später folgte die Krebsdiagnose ihres Mannes, ebenfalls nicht heilbar. "Da habe ich gelernt, Angehöriger zu sein ist eine ganz andere Nummer als Betroffener«, sagt Konstanze Eymann und nippt an ihrem Tee. »Man kann zwar ganz viel an praktischen Dingen abnehmen, aber fühlt sich trotzdem hilflos, weil man dem Betroffenen die eigentliche Behandlung nicht abnehmen kann.« Konstanze Eymann fragt sich heute, wie sie diese Jahre überstanden hat. Mit Krankheit, Corona und Homeschooling. Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihrem Mann eine erfüllte Zeit zu schenken und den eigenen Zukunftsängsten. »Dieses Wissen, dass das Leben meines Mannes irgendwann zu Ende geht, hat mir auch Angst eingeflößt. Wie soll mein Leben weitergehen? Wie sollen die Kinder das verkraften?«
Nur nicht das Lachen verlieren! Konstanze Eymann
während ihrer eigenen Krebsbehandlung im Jahr 2015.
Pfarrerin Konstanze Eymann in der Friedenskirche in Dresden. Dort bietet sie einen Segnungsgottesdienst
und Führungen für Betroffene von Tumorerkrankungen an.
Geholfen habe ihr, dass Gemeindemitglieder, Freunde und Bekannte an sie gedacht und für die Familie gebetet haben. »Man merkt schon, dass das einen trägt. Man fühlt sich nicht völlig allein in dieser Situation.« 2022 begleitete sie ihren Mann im Hospiz auf seinem letzten Weg. »Er hat dann am Ende seines Lebens gesagt: Ich bin schon gespannt, wie es im Reich Gottes sein wird. Das ist ein unheimlicher Trost für mich, weil er das wirklich geglaubt hat.« Wenige Monate darauf beerdigte Pfarrerin Konstanze Eymann auch noch ihre Mutter. »Danach bin ich erst einmal zusammengebrochen, weil ich seelisch gar nicht mehr hinterhergekommen bin.«
An der Wand hinter ihr hängt ein kleiner Zettel: »Was ist Hoffnung? Wichtig wie das Atmen. Nicht aufgeben.
Leben wollen.« Lebenswichtige Hoffnung weitergeben, das möchte Konstanze Eymann nun auch anderen Betroffenen. »Schon nach meiner Krankheit sind ganz viele Menschen zu mir gekommen, die gesagt haben, wir sind auch betroffen oder einer in der Familie. Du kennst das ja. Da haben sich so Gespräche entwickelt.« Konstanze Eymann erkannte, dass es im Versorgungsnetz zwischen Kliniken, Praxen, Beratungsstellen,
Psychologen und Selbsthilfegruppen eine spirituelle Versorgungslücke gab: »In der Regel erfolgt die Erstbehandlung in der Klinik und oft sind Turmorerkrankte dann sehr lange, mitunter Jahre, ambulant allein unterwegs. Da hat man keinen Krankenhausseelsorger, der ans Bett kommt.« Doch Patienten mit einer Krebsdiagnose, vor allem wenn die Prognose laute »nicht heilbar«, stellten sich viele Sinnfragen: Was kommt nach dem Tod? Gibt es einen Gott? Was ist meine Aufgabe auf diesem Planeten? Was trägt mich durch diese schwere Zeit? Habe ich bisher richtig gelebt? Im Gespräch geht Pfarrerin Konstanze Eymann mit dem oder
der Betroffenen diesen Fragen nach: »Antworten muss jeder für sich selbst finden. Ich will Unterstützung sein. Dass man erst einmal die Fragen für sich formuliert, um sich klar zu machen, wo die Seele gerade herumirrt.«
»Ich versuche zu begleiten, den Raum zu öffnen, dass alles mal ausgesprochen werden kann.«
Konstanze Eymann
Auch Selbsthilfegruppen von Tumorerkrankten kommen inzwischen zu der Pfarrerin. Sie bietet Kirchenführungen mit einem anschließenden offenen Gespräch in der Dresdner Friedenskirche an und auf Wunsch auch thematische Nachmittage. »Man muss nicht in der Kirche oder religiös geprägt sein, um teilzunehmen. Ich versuche, es offen für alle Betroffenen zu gestalten. Ich biete an, für Menschen zu beten,
die das gerade selbst nicht können. Aber niemand muss mit mir beten. Während des Segnungsgottesdienstes kann man auch alles einfach auf sich wirken lassen.« Im Frühjahr 2024 fand zum ersten Mal ein Segnungsgottesdienst für Menschen mit Tumorerkrankungen statt. »Ich musste das einfach machen, weil ich etwas weitergeben möchte, das mich getröstet hat, und zwar gesegnet zu werden«, so Konstanze
Eymann. Fast einhundert Menschen kamen an diesem Tag in die Friedenskirche. Am 2. Februar 2025 wird dort wieder ein Segnungsgottesdienst stattfinden. Den bereitet Konstanze Eymann schon jetzt gemeinsam mit Tumorbetroffenen vor. Einer von ihnen ist Christian Preißiger: »Das Schlimmste ist, mit seinem Schicksal und all den Fragen allein zu sein«, sagt der Rentner. Der Gottesdienst habe allen vor Augen geführt, dass sie viele sind, die ein Schicksal teilen.
Im Mai möchte Pfarrerin Eymann ein Experiment wagen. Sie öffnet die Hintertür
der Hoffnungskirche und tritt in ein grünes Refugium mit Obstbäumen und Blumenbeeten. Direkt hinter dem Pfarrgarten schließt sich der weitläufige Neue Annenfriedhof an. In dieser grünen Oase mitten in Dresden möchte Konstanze Eymann einen Besinnungstag für Tumorpatienten zum Thema »Was macht mich
glücklich?« durchführen. Es soll spirituelle Impulse und einen Kreativteil geben, aber auch Zeit, bei einem Spaziergang den eigenen Gedanken freien Lauf zu lassen. Jeder für sich, aber nicht allein.
Segnungsgottesdienst und Besinnungstag
Am 2. Februar 2025 um 10 Uhr feiert Konstanze Eymann in der Friedenskirche Dresden einen Segnungsgottesdienst für Menschen mit Turmorerkrankungen. Alle Betroffenen und Interessierten sind herzlich eingeladen.
2. Februar 2025 um 10 Uhr
Friedenskirche, Wernerstraße 32, Dresden
Am 3. Mai 2025 bietet Konstanze Eymann im Pfarrgarten der Hoffnungskirche einen Besinnungstag für Tumorpatienten. Leitthema wird sein: "Was macht mich glücklich?"
3. Mai 2025 von 10 bis 17 Uhr
Hoffnungskirche, Clara-Zetkin-Straße 30, Dresden