Presse unter Druck
Lokale Medien sorgen für Informationen und Debatte und damit für den Sauerstoff der Demokratie. Doch Aufmerksamkeit und Werbemillionen fließen ab ins Internet. Kleine Redaktionen, wie der Marienberger Sender »Glück auf TV«, stemmen sich mit Leidenschaft dagegen. Ob das reicht?
Text: Andreas Roth // Fotos: Steffen Giersch
Frank Langer ist der Spagat, der Lokaljournalismus heißt, längst in Fleisch und Blut übergegangen. Großer
Ausfallschritt, die rechte Hand an der Kamera auf der Schulter, die Linke hält das Mikrofon. Davor erzählt
ein junger Mann, was er gerade auf der Freiberger Berufsmesse entdeckt hat: einen Job bei einer Gießerei. Migrant ist er, will unbedingt arbeiten. Firmen suchen solche wie ihn händeringend. Langer, der Zweimeter-Lokalreporter, fängt seine Stimme ein. Ein Puzzlestück Wirklichkeit.
»Glück auf!«, grüßt Frank Langer den Wachmann am Eingang der Freiberger Messe, die Chefin der Industrie und Handelskammer und die Unternehmer an den Ständen. Kaum einer, mit dem er nicht per Du ist. Wer dem Journalismus vorwirft, abgehoben zu sein: In Langer fände er den Gegenbeweis. Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Kühnhaide hoch oben am Erzgebirgskamm, Mitglied der evangelischen Kirchgemeinde, gelernter Elektrotechniker. Sein Sender heißt »Glück auf TV«, zu empfangen in den Kabelnetzen zwischen Zschopau und Freiberg. Auch über Satellit, nur mit viel Bodenkontakt.
Morgens bei der Redaktionskonferenz lässt Langer die Kaffeetassen herumgehen. Sechs Redakteure sitzen im grün angestrichenen Sendergebäude in Marienberg zwischen Schreibtischen und Bildschirmen, von der St. Marienkirche gleich nebenan läutet es durch das Fenster neun Uhr. »Von der Karriere-Messe heute in Freiberg brauchen wir O-Töne, warum sie wichtig ist«, sagt Langer in die Runde. »Mein Eindruck ist, dass viele Migranten wirklich einen Job wollen, mehr als manche Einheimische – aber das wird schwierig, dafür auch
einen O-Ton zu bekommen.«
Demokratie lebt von Informationen, von Debatten, von Kritik. Im Großen wie im Kleinen. Doch der Lokaljournalismus schrumpft in Sachsen seit Jahren. Nun scheint ein Kipppunkt erreicht. Allein in den letzten zehn Jahren sank die Auflage der drei großen Regionalzeitungen in Sachsen – Sächsische Zeitung, Freie Presse und Leipziger Volkszeitung – um gut 40 Prozent auf insgesamt nur noch 420 000 verkaufte Papier- und Digital-Exemplare Ende des letzten Jahres. Zeitunglesen ist nicht länger Standard – es wird zur Nische einer Minderheit: meist älter, meist besser betucht, denn Abos werden immer teurer…
Der lokale Journalismus kommt so finanziell unter Druck. Sächsische Zeitung und Leipziger Volkszeitung wurden im letzten Jahr unter dem Dach des Madsack-Konzerns aus Hannover zusammengeschlossen, rund 30 SZ-Redakteure mussten gehen, einige Lokalredaktionen machten dicht. Davor sind bereits ganze
Zeitungen, wie der Vogtland-Anzeiger, und Sender, wie das Vogtland Regional Fernsehen, verschwunden. Die Zahl der lokalen Fernsehsender in Sachsen hat sich seit den 1990er Jahren mehr als halbiert auf heute 25. Auch private Radiosender ächzen aktuell unter der Wirtschaftskrise. Die Aufmerksamkeit des Publikums wird von den Internet-Riesen aufgesogen – und die Werbe-Millionen, von denen die Medien früher gut leben konnten, auch.
Reporter im Einsatz: Sender-Chef Frank Langer...
...und Praktikantin Fleurie Schmieder sammeln Interviews auf der Karrieremesse ZIM in Freiberg.
Moderator Kevin Preuß präsentiert die Nachrichten im Studio.
Frank Langer streckt auf der Freiberger Berufsmesse das grüne »Glück auf TV«-Mikrofon aus. Cindy Krause, die Geschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer in Mittelsachsen, erzählt mit leuchtenden Augen über eine Wirtschaftsregion im Wandel, voller Chancen und Bewegung. Als die Kamera stoppt, erzählt sie von Sorgen. »Das Vertrauen in Zeitungen und Sender nimmt ganz rapide ab«, beobachtet die Wirtschaftsexpertin. »Das ist eine Gefahr. Denn Journalismus sollte mehrere Perspektiven einfließen lassen – heute aber sind viele nur noch in ihrer eigenen Blase.«
»Das ist eine Gefahr. Denn Journalismus sollte mehrere Perspektiven einfließen lassen – heute aber sind viele nur noch in ihrer eigenen Blase.«
Cindy Kause, Geschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer in Mittelsachsen
Medien stecken mitten in einer Revolution. Debatten und Informationen suchen viele Menschen im Digitalen, in Netzwerken, nicht mehr im Journalismus. Dabei sind auch die sächsischen Lokalmedien von heute Kinder einer Revolution: der von 1989. Bei »Glück auf TV« begann sie schon viel früher, und sie klingt auch eher wie eine Schwejksche List. 1980, zu tiefsten DDR-Zeiten gründeten Marienberger eine Antennengemeinschaft zum kollektiven Empfang des Fernsehens vom westlichen Klassenfeind. »Da kannst du auch gleich einen eigenen Sender aufmachen«, erwiderte der SED-Rat des Kreises dem Initiator Günter Rötzer.
Eine Provokation, undenkbar in der Diktatur. So undenkbar, dass sie nicht einmal ein Gesetz hatte, die das verbot. Also fingen die Antennenfreunde 1986 einfach an: Mit einer umgebauten Computerkonsole
und einer Kamera aus dem VEB Federnwerk. In ihrem selbst gebuddelten Kabelnetz liefen fortan auf dem Kanal von Sat 1 hin und wieder Berichte von Sportfesten und Skiläufen sowie Nachrichten aus Marienberg. Nichts Politisches, doch die Saat für ein freies lokales Medium war damit schon mitten im Staatssozialismus gelegt.
Frank Langer führt dieses Erbe fort. Sein Vater zählte einst zu den Antennenfreunden, als Jugendlicher schrieb er auf dem Amiga-Computer Videotext für den Sender, heute gehört ihm ein Viertel der
Gesellschaft. »Du wirst nicht reich damit, arbeitest abends und an Wochenenden«, sagt Langer. »Aber ich will zeigen, dass nicht alles schlecht ist hier bei uns – und auch nicht alles durch die rosarote Brille sehen.« Zeigen, was ist. Journalismus eben. Für Langer, den evangelischen Christen, auch eine Glaubensfrage.
»Aber ich will zeigen, dass nicht alles schlecht ist hier bei uns – und auch nicht alles durch die rosarote Brille sehen.«
Sender-Chef Frank Langer
Wobei auch freier Journalismus am Ende eine Sache des Geldes ist. Das wird bei der Redaktionskonferenz schnell deutlich. Gestern erst hatte »Glück auf TV« eine Meldung über die Kürzungen bei der Sozialarbeit
an Schulen in den Nachrichten – ein Aufreger, bei dem man gut hätte in die Tiefe recherchieren können, räumt Frank Langer ein. Nur fehlen die Ressourcen. Zwar schreibt »Glück auf TV« schwarze Zahlen. Drei Viertel der rund 350 000 Euro Jahresumsatz kommen aus Werbung – schwierig genug in Zeiten der Wirtschaftskrise, zumal in einer Gegend mit viel Abwanderung wie dem Erzgebirge. Doch ohne die rund
90 000 Euro Förderung durch die Sächsische Landesmedienanstalt würde es eng für die Marienberger – und selbst dieses Förderprogramm für Lokaljournalismus wird im geplanten Landeshaushalt für 2025 angesichts
knapper Staatskassen und unsicherer Mehrheiten noch einmal um 340 000 Euro auf 1,56 Millionen Euro gekürzt.
Generation Instagram: Schüler
lernen bei »Glück auf TV«
Erinnerungsfoto im Studio
Sender-Chef Frank Langer im Gespräch mit SINN-Reporter Andreas Roth
Öffentliche Förderung kann nur ein Notpflaster sein, zu abhängig ist sie von politischen Mehrheiten. Und zu anfällig für politischen Einfluss. Frank Langer hat eine größere Idee: Eine Digitalsteuer für Google, Facebook und Co. »Es ist ein Ungleichgewicht: Die amerikanischen Social-Media-Plattformen zahlen nichts für die Inhalte, die sie auch von journalistischen Medien verwenden, aber kassieren die Werbe-Millionen«, rechnet Langer vor und zeigt nach Österreich. Dort müssen die großen Internetkonzerne von ihren Werbeeinnahmen
fünf Prozent Steuern zahlen. 124 Millionen Euro kamen so im vergangenen Jahr zusammen – sie flossen zum Teil an lokale Medien.
Eine solcher Steuer könnte ein paar Millionen Euro aus dem Internet zurückholen in den regionalen Journalismus – nicht aber die Menschen. Frank Langer spürt es, als er eine Klasse 13-Jähriger durch sein Studio führt. »Seid Ihr alle bei TikTok?«, fragt er die Oberschüler aus Sayda. Klar, alle. Fernsehen ist für sie etwas wie aus dem Museum. Nur Lotta folgt »Glück auf TV« auf Instagram. 1 500 Follower hat der Regionalsender dort, bei YouTube 4 380 Abonnenten – die tägliche Nachrichtensendung »MEgional« im Fernsehen verfolgen gut 13 000 Zuschauer. Lotta zeigt Frank Langer ihr Smartphone. »Dank Glück auf TV bekommt man mal Informationen von hier«, sagt Lotta.
»Dank Glück auf TV bekommt man mal Informationen von hier.«
Lotta
Bevor die Glocken von St. Marien nebenan zu Mittag schlagen, geht Moderator Kevin Preuß ins »Glück
auf«-Studio, zieht sein T-Shirt aus, nimmt das schicke Hemd von der Kleiderstange, hängt sich das Mikrofon
um. »Hier ist MEgional, die täglich aktuelle Sendung für den Kulturraum Erzgebirge und Mittelsachsen«,
spricht Preuß konzentriert in die Kamera. Er ist der Einzige im Studio: Nachrichten, Wetter, der Schnitt
der Sendung: Alles Ein-Mann-Betrieb, Stress, Improvisation. Aber Kevin Preuß weiß, warum er es trotzdem
macht: »Die Leute sollen sehen, was hier vor der Haustür auch an Gutem in Vereinen und Organisationen
geschieht – miteinander und nicht nur gegeneinander.«
Gesicht zeigen: Torsten Lange ist
Moderator und bekennender Christ.
Textsicher: Die Studiokamera hilft dem Moderator.
Der Markt von Marienberg
Sein Moderatorenkollege Torsten Lange kommt ins Studio. Letzte Absprachen. Nach der Bundestagswahl Ende Februar sprach Lange einen Kommentar in der Sendung – kritisch gegenüber dem Erfolg jener Partei, der fast jeder zweite Wähler im Erzgebirgskreis seine Stimme gegeben hatte: der AfD. Kritik von Zuschauern ließ danach auf seinem Handy nicht lange auf sich warten. »Es kommt auch aus meinem Glauben heraus, einmal eine andere Meinung zu bekennen«, sagt Lange, der in seinem Heimatdorf Gahlenz im Kirchenvorstand sitzt und die Orgel spielt. »Im Lokaljournalismus können wir die Menschen aus ihrer eigenen Bubble herausbringen und die Sicht ein bisschen öffnen: Leute, es gibt so viel Schönes, wir können nicht alles aufs Spiel setzen.«
In Sichtweite der Studioschaufenster liegt der Marienberger Markt. Hier wurde gegen Corona-Maßnahmen spaziert und gegen Rechts demonstriert. Und für Rechts. »Glück auf TV« ließ alle Seiten reden. »Wir können gar nicht falsch berichten, weil uns die Leute danach sofort rütteln und schütteln würden «, weiß Sender-Chef Frank Langer. Mit Drohungen oder Gewalt habe er, anders als andere Journalisten in Sachsen, noch nicht zu tun gehabt, sagt er. Mit Misstrauen auch nicht.